Gedenken

Wer sich nicht erinnern will, hat auch keine Zukunft.

Geschichte lebt in unseren Räumen – wer sich nicht erinnern will, hat auch keine Zukunft

Je näher uns die Geschichte im Alltagsleben rücken kann, desto weniger besteht sie aus abstrakten Fakten und Zahlen. Wer das Schiller-Gymnasium besucht, wird es irgendwann einmal erfahren: Auch in unseren Räumen, genauer gesagt, im Schillersaal, damals Turnhalle der Knabenrealschule,  ist Schlimmes geschehen. Am 22.10.1940 wurden die noch in Offenburg lebenden restlichen Mitglieder der jüdischen Gemeinde auf Befehl von Gauleiter Robert Wagner gesammelt, registriert  und dann unter Bewachung zum Bahnhof gebracht. Die Fahrt ging ins Zwischenlager nach Gurs und von dort für viele von ihnen weiter in die  Vernichtungslager in Polen und damit  in den Tod. Wo unsere Schulgemeinschaft ihre schönsten Momente feiert – die Einschulung der Sextaner, das Abitur, Theater-, Tanz- und Musikveranstaltungen – haben einst  Menschen gezittert und gebangt  und das Schlimmste geahnt. Diese  Zeiten sind zum Glück vorbei, aber wir sind auch aufgefordert, dafür zu sorgen, dass sie nicht wiederkommen. Die Fachschaft  Geschichte will ihren Beitrag dazu leisten, indem sie aufklärt und nicht verschweigt, indem sie immer wieder Zeitzeugen einlädt, die aus ihrem Leben erzählen, indem sie Ausstellungen zu den jährlichen Gedenktagen 22. Oktober und 27. Januar (Auschwitztag) kreiert, freundschaftliche Verbindungen zu Überlebenden pflegt, die Schülerinnen und Schüler zu eigenen  Nachforschungen motiviert und zusammen mit der Stadt Offenburg sich auch bei zentralen Veranstaltungen im Zehnjahresrhythmus engagiert. Lebendiges Erinnern und  Gedenken findet auch Ausdruck in Spielszenen und Textlesungen.

Zeitzeugin Eva Mendelsson-Cohn am Schillergymnasium
Erschüttert, berührt und tief beeindruckt waren wir, die Schülerinnen und Schüler der Klassen 9c und 9e, nach dem Zeitzeugengespräch mit Eva Mendelsson-Cohn.
Schon Mitte Dezember war klar, dass wir die Chance haben würden, am 28. Januar ein Zeitzeugengespräch mit Eva Mendelsson-Cohn zu führen. Mit viel Vorfreude recherchierten wir und dachten uns mögliche Fragen aus.
Eva Mendelsson-Cohn, geboren am 27. März 1931 in Gengenbach, durchlebte die Zeit des Nationalsozialismus als jüdisches Mädchen. Ihre Erfahrungen in Konzentrationslagern, überfüllten Kinderheimen sowie der Tod ihrer Mutter und Schwester haben tiefe Wunden in ihrem Leben hinterlassen, doch sie kann darüber reden. Sie hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Menschen ihre Geschichte zu erzählen, um dem Vergessen entgegenzuwirken.
Eva Mendelsson-Cohn erzählte uns ihre erschütternde Lebensgeschichte und wir alle hörten aufmerksam zu. Es gab niemand, der nicht von ihren Erlebnissen berührt war, an die sie sich so klar erinnern konnte. In der nächsten Geschichtsstunde beschrieben wir immer noch tief beeindruckt unsere Eindrücke, Gefühle und Gedanken zu dem Zeitzeugengespräch.
Es wurde uns eine einzigartige und bald nicht mehr existierende Chance geboten und wir bereuen es nicht, diese genutzt zu haben.
Von Johanna Thaens

Zeitzeugin Eva Mendelsson erzählt im Schillersaal am 28.1.2014 aus ihrem Leben

Eva Cohn aus Offenburg mit Zöpfen gesucht!

So lautete der Ausruf in der Bahnhofshalle von Freiburg in der  Nacht vom 22. auf den 23. Oktober, als der Zug aus  Offenburg ankam, um die badischen Juden nach Gurs ins  Lager zu deportieren, damit der Gau  Baden „judenfrei“ wurde, wie Gauleiter Robert Wagner bestimmt hatte. Eva Cohn war damals 11 Jahre alt und musste die Woche über in Freiburg bei einer fremden Familie wohnen, weil es nur  dort eine jüdische Schule gab und die Offenburger Schulen keine jüdischen Kinder mehr unterrichten durften. Welch ein unheimliches Erlebnis, in diesen nächtlichen Zug einzusteigen und nach Mutter und Schwester zu suchen, die schon in Offenburg eingestiegen waren.Weiter ging es dann mehrere Tage lang in ein fremdes Land, in ein kaltes, schmutziges Barackenlager mit Strohsäcken und Latrinen im Freien. Mutter Sylvia Cohn konnte die beiden Mädchen Eva und Miriam nach einiger Zeit einer Schweizer Hilfsorganisation anvertrauen, welche die Mädchen in Familien in Frankreich und der Schweiz unterbrachte, sie selbst wurde  nach Auschwitz deportiert und wurde dort ermordet, ebenso wie die halbseitig gelähmte ältere Tochter Esther. – Heute lebt Eva Mendelsson geb. Cohn in London, aber sie kommt jedes Jahr nach  Offenburg, um Schülern ihre Geschichte zu erzählen, so auch am 28.1. im Schillersaal vor allen Schülerinnen und Schülern der neunten Klassen und ihren  Lehrern. „Hier in diesem  Saal warteten meine Mutter und meine Schwester mit einem Koffer, zusammen mit vielen anderen jüdischen Menschen, bewacht von SA-Leuten, auf ihr weiteres Schicksal“, erzählte sie. Auch davon, wie ihr Vater 1938 mit anderen jüdischen Männern am frühen Morgen von daheim abgeholt worden war, ins KZ Dachau gebracht wurde und von dort nach mehreren Wochen abgemagert und verändert nach Hause zurückkehrte. Er hatte unterschreiben müssen, dass er Deutschland verlasen würde, und als Einziger der Familie schaffte er noch die Emigration nach England, bevor der Krieg ausbrach. Danach gelang es jedoch nicht mehr, Frau und Kinder nachzuholen, und erst nach Kriegsende trafen Eva und ihre Schwester den  Vater in London wieder. Äußerlich unbewegt, anschaulich und in schülergemäßen Worten erzählte Eva Mendelsson von der elternlosen Odyssee zweier halbwüchsiger Mädchen von Kinderheim zu Kinderheim, von Land zu Land, von hilfreichen guten Menschen und ihren späteren Schwierigkeiten, in ein bürgerliches Leben hineinzufinden, eine angemessene Schulbildung zu erhalten und sich eine eigene Familie aufzubauen. Sie appellierte an die Zuhörer, andere nicht auszugrenzen, sondern jeden in seinen Eigenarten und Besonderheiten zu akzeptieren und Fremden eine helfende  Hand anzubieten. – Die Schüler waren sichtlich betroffen und hörten angespannt zu, stelletn aber nur wenige Fragen. Dafür hieß es dann hinterher: „Jetzt müsste Frau Mendelsson nochmal kommen. Uns sind noch ganz viele Fragen eingefallen.“

Susanne Kerkovius