Eine Haltestelle als Dreh- und Angelpunkt der Welt

Beeindruckende Schauspielerleistungen des Literatur- und Theaterkurses des Schiller-Gymnasiums / Stück von Helmut Krausser.

Von Judith Reinbold

OFFENBURG. „Die Welt ist geil“, heißt es im Stück „Haltestelle. Geister“. Das Gleiche gilt für die Aufführung des Literatur- und Theaterkurses des Schiller-Gymnasiums, der den Stoff von Helmut Krausser jetzt auf die Schiller-Bühne brachte. Unter der Anleitung von Regisseurin Verena Huber begeisterte die Gruppe das Publikum gleich drei Mal. Eine Bushaltestelle, an der nie ein Bus abfährt: Das ist der Rahmen des Theaterstücks, in dem sich die Oberstufenschüler auf der Bühne bewegen. Drogendealer treffen auf Opernbesucher, drei Tussen überfallen einen älteren, schüchternen Herrn, und ein Penner hört die Toten sprechen. Das sind nur einige der Episoden, die die Zuschauer beobachten dürfen.


Doch von Anfang an. Alle Blicke sind auf die Bühne gerichtet. Auf ihr nur ein Gerüst, unter dem eine Bank steht, ein Mülleimer und ein Bushaltestellenschild. Im Hintergrund werden Streicher gestimmt. Ein Paar im Publikum fängt an zu streiten. Sie hat einen Fleck auf dem Kleid, möchte nach Hause. Er ist genervt, die Karten waren teuer, er möchte seine Lieblingsoper sehen. Doch sie verlässt den Saal, er geht hinterher. Es ist ein Moment, der fesselt. In seiner ehrlichen, tragischen und immer wieder komischen Art lässt einen das kurzweilige Stück von Anfang an nicht mehr los.

Das Paar wird später noch auftauchen, so wie alle Figuren immer wieder an der Bushaltestelle auftauchen und verschwinden. Diese sequentielle Konstellation gibt den Schauspielerinnen und Schauspielern sehr viel Raum, sich zu entfalten. So zeigt das Paar (harmonieren wunderbar in ihren Rollen: Marlene Rössle und Peter Schöning), wie es ist, wenn man nicht mit, aber auch nicht ohne einander kann. Emma Stacey als abgeklärter Pillen-Dealer Rico und Max Altmann als älterer Mann bilden eine weitere dieser Paarungen, denen das Publikum am liebsten ewig zuschauen würde. Konsequent in ihrer Körpersprache könnten die beiden Rollen kaum unterschiedlicher sein. Das führt zu urkomischen und dank herausragender schauspielerischer Leistungen sehr glaubwürdigen Dialogen.


Die Figuren sprechen über Liebe und Sex, Drogen und den Sinn des Lebens, während immer wieder eine Figur auftaucht: Hanne Niemeyer als Mann im schwarzen Ledermantel. Es reicht, dass dieser Mann am Rande der Bühne steht, um das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Als er schließlich eine Frau vergiftet (überzeugt gleich in zwei Rollen: Anna Weil), ist die Spannung im Saal auf ihrem Höhepunkt. Obwohl sich das Stück selbst als „Trash-Oper“ auszeichnet, singt niemand – zumindest keiner der Schauspieler und nicht live. Doch Musik spielt, vor allem in der Verbindung mit Drogen, eine zentrale Rolle. Wenn Rico Pillen verkauft, ist jeder dabei. Die Drogentrips kommen den Zuschauern durch Video-Collagen sowie Musik- und Lichteffekte ganz nah. Ebenso nah gehen dem Publikum die einzelnen Rollen.

Ob der Mann vom Grill-Imbiss, dem Pauline Benz eine lässig-entspannte Haltung gibt, oder die Tusse Eva (Yara Broghammer spielt schnippisch und verführerisch zugleich), die am Ende doch sehr alleine dasteht: Man möchte gerne wissen, wie es mit ihnen weitergeht.

Regisseurin Verena Huber ist es gelungen, clever und auf sinnüberflutende Effekte verzichtend zu inszenieren. Mit jedem und jeder Einzelnen hat sie eine Rolle entwickelt, die sich passend in die Gesamtproduktion einfügt.

Ob Vanessa Britsch als schillernde Prinzessin Cracia Gala, Elisabeth Altenburger und Melissa Leis als aufreizende Tussen, Gerda Schmitt als erschreckend überzeugende Blinde oder Cedric Schwencke als wahnsinnig zugeknöpfter „Großinquisitor“ – worum es beim Theater geht, haben hier offensichtlich alle verstanden.